Montag, 25. Juli 2016

Sommer, ich piss' auf deinen Kadaver! (Teil2)

+++ Der offizielle nicht abgeschlossene DWüdW-Fortsetzungsroman zum Sommer 2016! +++

Aus der S-Bahn. Durch die Unterführung. Über den Parkplatz. Und als dann mein Blick aus den zusammengekniffenen Augen auf das glänzende Meer trifft und der erste Sand sich zwischen meine besockten Zehen und die Sandalen schiebt, da spüre ich, wie sie von mir abfällt, die Furcht vor dem Tod! Es ist der Moment, in dem einem klar wird, aus heiterem Himmel vom Blitz erschlagen zu werden kann auch als Gnade verstanden werden. Denn hat sich die Menschheit jemals etwas Widerhafteres und Grauenwärtigeres einfallen lassen, als ein Tag am Strand? Neutronenbombe und Modern Talking explizit mit eingeschlossen? Gehen wir ruhig erst einmal vom bestmöglichen aller Szenarien aus. Dann ist es noch nicht ganz so schlimm, im Ekelfaktor irgendwo zwischen Porree in Rahmsauce und einem Interview mit Akif Pirinçci:

Ein schneeweißer Sandstrand, an dem die winzigen Wellen, kaum mehr als ein Gekräusel des warmen, klaren Wassers, leise mit verspielten Schaumrändern zwischen den bunten Muscheln auslaufen. Einige hohe Palmen, die sich sacht in der Brise wiegen. Das Meer türkisblau, ein paar Felsen oder Korallen darin, so daß die Sonne Farbspiele in allen Schattierungen von blau und grün in Nass tupft. Kleine, üppig begrünte Inseln vor der Küste. Alles vollkommen menschenleer, unberührt, James Cook war der letzte, der seinen Fuß in den warmen, pudrigen Sand gesetzt hat. Nur in der Ferne zanken sich ein paar Möwen um ein Stück Seetang. Und dann fällt es irgendeinem Vollidioten ein, da rein zu latschen und sich nackt in die Scheißhitze zu knallen! Freiwillig setzt er sich einem elektromagnetischen Strahlungsfeld aus, das, würde es von einem Hochofen emittiert, selbst einen Arbeitschutzbeauftragten in Bangladesh den Schaum vor dem Mund treiben würde! Nach wenigen Minuten sieht er aus wie ein Schweinerollbraten, nur ohne Knödel. Es sollte einem schon zu denken geben, daß diese Scheiße sich nur ohne akute physischen Schäden überstehen lässt, wenn man sich vorher Fingerdick mit Sonnenmilch einschmiert. Sonnenmilch! Diese widerliche Pampe, die immer riecht, als hätte eine Heidschnucke in eine Dose Niveacreme gepisst! Nur von der Wärme ganz dünnflüssig geworden, so daß sie einem, kaum, daß man sich etwas von der weißen Glitsche auf die Hand ejakuliert hat, gleich zwischen den Fingern davon rinnt und sich auf der Hose verteilt. Damit es aussieht, als hätte man noch ganz woanders hin ejakuliert. Und wenn dann erst der Schweiß dazu kommt! Ein Gefühl auf der Haut… Eigentlich kenne ich nur eine Erfahrung, die eine vergleichbare sinnliche Sensation ausgelöst hat. Unser Küchenabfluß war verstopft, ich mußte ihn auseinander bauen und mit der Hand in all das nasse, schmierige, ranzige abgelagerte Küchenfett der letzten Jahre greifen…

Schon da möchte man ja nur noch kotzen. Aber wir sind ja gar nicht im bestmöglichen alles Szenarien. Wir sind an einem Stadtstrand. Auf der einen Seite Schienen und Schnellstraße, auf der anderen Wasser, dazwischen eine Halde voll feinkörnigem Dreck mit Arschlöchern drin. Ein Charme, als hätte man eine Kiesgrube bei Chorweiler ins unermessliche aufgeblasen. Überhaupt, dieser Sand! Der weckt Kindheitserinnerungen! Damals. Da standen vor der Pforte zum städtischen Krankenhaus zwei große Aschenbecher. Die standen nur vor dem Krankenhaus, in allen anderen öffentlichen Gebäuden hat man damals noch ganz selbstverständlich drinnen geraucht. Die Aschenbecher rechts und links des Eingangs sahen aus wie zwei mit den Spitzen ineinander geschobene Kegel, oben drin war feiner grauer Vogelsand. Darin steckten die Zigarettenkippen, ein paar Streichhölzer und fand sich alles, was sonst noch so im Vorübergehen eine Trajektorie hinein gefunden hatte. Kaugummi und die silbrigen Papiersteifen, in die sie eingewickelt waren. Kronenkorken. Ausgespienes. Manchmal auch der Rest eines Brötchens. Und genau so sieht der Sand an einem Großstadtstrand aus. Sich mit ranzigem Schweineschmalz einreiben und in Gluthitze in einem Aschenbecher wälzen, gilt als erstrebenswerte Freizeitgestaltung. Urophilie gilt als abartig. Versteh' mal einer die Menschen!

Um keinen falschen Eindruck zu vermitteln, ich liebe das Meer, ich liebe es sehr. Aber ich mag auch Brandy, und komme deshalb trotzdem nicht auf die Idee, mich den Samstag Nachmittag zum Vergnügen in ein Steineichenfass zu legen. Man könnte sich dem Meer auch auf zivilisierte Weise annähern. In einem Korbstuhl im Schatten einer Strandbar, ein Ventilator surrt, ein gut gekühlte Drink, der Blick wandert durch die Ferne… Wenn sich dann trotz der Affenhitze noch ein Freiwilliger findet, der den Grill anheizt, dann wäre man schon gaaanz nah dran, eine gar nicht mal so wahnsinnig schlechte Zeit zu haben…!

Aber ich darf nicht mal zur pissigen Strandbar am Stadtstrand verschwinden.
"Ich habe eine Strandmuschel mitgenommen, da kannst du drinnen sitzen und verbrennst nicht!", meint die Dame des Hauses.
Die Strandmuschel ist eine klasse Sache! Man nimmt sie aus der Tragetasche, wirft sie in die Luft, und noch bevor sie am Boden ankommt, haben sich die unter Spannung stehenden Streben selbst entfaltet und das Ding landet als vollständig aufgebautes Zelt!

Die Kleinen graben Löcher in den Sand, schütten Wasser rein und sind damit emotional völlig ausgefüllt.

Ihre Mutter haut sich, nachdem sie sich von oben bis unten mit schmierigem weißen Plastikflaschenejakulat eingerieben hat, entspannt seufzend in den Aschenbecher.

Ich sitze in der stickigen Strandmuschel und mache mir über eines keine Illusionen: Ein reversibler Prozess setzt eine verschwindende Entropieänderung voraus. Oder anders ausgedrückt: Wenn ich die Strandmuschel noch einmal in die Luft werfe, wird sich das Drecksding dabei nicht wieder auf Taschenformat zurückfalten. Ich krame die Gebrauchsanleitung hervor um herauszufinden, wie man das verdammte Biest wieder in die Scheiß Tasche reinkriegt. Als mein Blick auf die Schrift fällt, wird mir manches im Leben klarer…
(Wird fortgesetzt…)

Samstag, 23. Juli 2016

Sommer, ich piss' auf deinen Kadaver! (Teil 1)

+++ Der offizielle nicht abgeschlossene DWüdW-Fortsetzungsroman zum Sommer 2016! +++

Sommer ist Scheiße! Ja, ich weiß, ich riskiere allmählich meine Glaubwürdigkeit. Schließlich fand ich schon Weihnachten Scheiße. Und Ostern Scheiße. Und Herbst sowieso. Aber Sommer ist ganz besonders Scheiße! Das werden jetzt all jene nicht wahrhaben wollen, die irgendwo im Regen sitzen und rum jammern.
Wir haben hier aber Sommer, so richtig, 32 Grad, strahlender Sonnenschein mit ein paar winzigen, fluffigen weißen Wölkchen am kobaltblauen Himmel und das Meer fast vor der Haustür. Also alles da, was es braucht für diese ganze verficke Sommerscheiße!

"Heute nehmen wie die Kinder und fahren alle an den Strand!"

Tolle Idee der Dame des Hauses! Wir nehmen den Cayenne. Ein sanfter Druck aufs Pedal und 500 Pferde fallen in leichten Trab. Klimatisiert in Ledersitzen rauschen wir zur Küstenlinie, und das beste, das Biest hat einen CO2-Austoß, daß einem auf hundert Kilometern die Küstenlinie um 3 cm entgegen kommt!

Haha, war nur Spaß! Wir sitzen in der S-Bahn. Im S-Bahn-Tunnel unter der Innenstadt. Die S-Bahn ist gar nicht gut klimatisiert, dafür aber um so voller. Zum Glück haben wir noch zwei dieser Klappsitze im Türbereich abbekommen, die Kinder auf dem Schoß. Jeden Bahnhof drängen sich noch mehr Leute in den Zug, es ist furchtbar heiß, stickig und eng. Die junge Frau vor mir will dem Anschein nach zu urteilen auch zum Strand: Hotpants, Bikini-Oberteil, Strandtasche um, Sonnenbrille auf und Kopfhörer in den Ohren. Wenn ich auf dem Klappstuhl sitze und sie vor mir steht, habe ich ihre Hotpants genau auf Augenhöhe. Ich sitze in der Hitze in der überfüllten S-Bahn, mein Sohn windet sich auf meinem Schoß nervig hin und her und will endlich da sein, seine Mutter erzählt mir irgendwas von wegen Vorhänge waschen oder so, so genau höre ich da nicht hin, und währenddessen habe ich die Cameltoe dieser halbnackten jungen Frau keine 30 cm vor meine Nase. Da denkst du schon über dein Leben nach...
Oxytocin plus Testosteron ist das Radler unter den Hormonen: Eine Mischung, von der man kotzen möchte.

Endlich rollt der Zug aus dem Tunnel ins Tageslicht, statt der Betonwände des Tunnels sieht man die Betonwände der Vorstädte vor den Fenstern vorüberziehen und es liegt schon der Geruch von Meersalz in der Luft. Und der Wagen wird auch endlich leerer.

"Du hörst mir ja gar nicht zu!"
"Was?"
"Ich erzähle ich dir was und du hörst gar nicht zu! Wo bist bist du denn mit deinen Gedanken?"
"Bei den Füßen von Kamelen."
"Was?"
"Wenn man ein Eis in die Tür hält, kann die S-Bahn dann losfahren?"
"Interessierst du dich jetzt für Kamele?"
"Nur wenn kein Stiel drinsteckt."
"Was?"
"Was?"
"Was?"

Also eines ist klar, ich geh' sofort zur Strandbar…

(Wird fortgesetzt…)

Sonntag, 17. Juli 2016

Je suis fatigué

Kaum ist man mal ein paar Wochen weg zur Entziehung, schon verpasst man jede Menge Terror, Putschversuche, sogar das kleine süße Haustier soll einem weggenommen werden! Aber jetzt gibt's wieder ein bisschen DWüdW-Senf dazu!
In den 2000er Jahren musste ich ein paar Jahre beruflich in Paris verbringen. Du meine Güte, was habe ich in dieser Zeit gelernt, dieses widerwärtige Dreckloch zu hassen! Aber aus der Zeit sind mir zwei kleine Erlebnisse fest in Erinnerung geblieben.

Das erste Erlebnis war ganz kurz nach meiner Ankunft. Ich wohnte in einer Pension und suchte nach einer Wohnung. Und im Großraum Paris nach einer Wohnung suchen… Man kann es sich kaum vorstellen, aber verglichen mit der Situation in Paris ist der Wohnungsmarkt in München ein reines Schnäppchenparadis! Irgendwann stand ich in einer kleinbürgerlich-weißen Banlieue südwestlich der Ringautobahn, dem guten Teil der Vororte, auf dem Bürgersteig in einer langen Schlange von kleinbürgerlichen weißen Franzosen, um mir eine halbwegs bezahlbare Wohnung in einem Siebzigerjahre-Betonbau anzusehen. Während die Schlange auf dem Bürgersteig auf den Makler wartete, fuhr langsam ein Auto die Straße entlang, drinnen saßen zwei farbige junge Männer, die offenbar die Häuserreihen links und rechts nach irgendwas absuchten. Viele Blicke aus der Schlange verfolgten das Auto mit den Schwarzen misstrauisch. Als es weg war, meinte einer der Wartenden laut: "Ob die sich hier auch eine Wohnung ansehen wollen?" Die ganze Schlange begann laut aufzulachen.

Das zweite Erlebnis folge, nachdem ich irgendwann eine Wohnung in den bürgerlichen südwestlichen Banlieus gefunden hatte. Spät nachts wollte ich aus Paris mit dem Vorortzug wieder nach hause fahren.  Die Züge fuhren vom Bahnhof Montparnasse in Richtung des sehr gut bürgerlichen Versailles ab, allerdings fuhren dort noch in den 2000er Jahren Züge aus Nachkriegsproduktion mit offenen Toilettensystemen. Da die Züge mitunter lange auf dem Bahnhof bereitstehen und manch einer während der Wartezeit nicht mehr an sich halten kann und die Toilette aufsuchen muß, sammelte sich dort über die Woche die Scheiße auf den Gleisen im Bahnhof. In jener Nacht sah ich Männer mit Mundschutz und Schaufeln, die Samstag Nacht um halb zwei im Bahnhof die menschliche Scheiße wieder von den Gleisen schippte. Und alle diese Männer waren Farbige. Paris ist eine Stadt, in der nachts die Nigger die Scheiße der besser gestellten Weißen wegschaufeln.

Ich habe nie eine solch asoziale, verkommene und ganz unverblümt rassistische Gesellschaft erlebt wie in Paris. Das erklärt nicht, weshalb sich gerade in Frankreich immer wieder mörderische Gewalt Bahn bricht. Wirklich verwundern kann mich das aber auch nicht. Die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die angeblich von Mördern angegriffen würden, die sind längst nichts weiter als eine groteske Phrase.

Samstag, 11. Juni 2016

Zeitenwende

Es gibt diese Momente im Leben, in denen einem schlagartig klar wird: Ab jetzt laufen die Dinge anders. Die Zukunft wird nie wieder sein, was die Vergangenheit war. Zum Beispiel dieser Moment, in dem man zum ersten Mal im Leben von der Verkäuferin beim Bäcker gesiezt wird. Oder in dem man das erste Mal ein Geschlechtsorgan des oppositionellen Geschlechts im real life begutachten kann.

Heute hatte ich wieder einen dieser Momente im Leben. Beim Optiker wollte ich, nachdem meine Sicht mit der Zeit immer verschwommener wurde und auch das Zusammenkneifen der Augen nichts mehr brachte, nach etlichen Jahren mal die Stärke meiner Brillengläser nachjustieren lassen. Die Optikerin gab sich auch geradezu leidenschaftliche Mühe, ließ mich durch Geräte schauen wie noch nie zuvor in meinem Leben, und erklärte mir, meine Sehstärke hätte sich so, mein Astigmatismus so und noch irgendwas, von dem ich noch nie zuvor gehört habe, wiederum so entwickelt. Auf meinen etwas unsicheren Blick hin lächelte sie mich ebenso offen wie freundlich an und verkündet, zum ersten Mal in meinem Leben: "Also, das ist doch gar nicht schlecht - für Ihr Alter!"

Es wird nie wieder so sein wie es war. Die Zeiten des gut und schlecht sind vorüber. Perdu. So wie Tränen im Regen. Ab heute bin ich nicht mehr stark oder schwach, schön oder häßlich, klug oder dumm, gesund oder krank. Was immer ich bin, in Zukunft bin ich es immer nur "für mein Alter".
An diesem traurigen Tag, an dem man dies zum ersten Mal vernimmt, sollte man vom Arbeitgeber freigestellt werden und ein Fest feiern. Vielleicht nennt man es das Nebo-Fest, wenn man erfährt - Du wirst das Gelobte Land schon mal nicht mehr betreten. Alles, was dir noch bleibt, ist, dich auf den letzten Berg hinauf zu schleppen und dann dort zu sterben. An seinem Nebo-Tag sollte man mit einem Lorbeerkranz gekrönt und von allen Leuten, die man kennt, mit hochprozentigen Alkoholika beschenkt werden.
Tja, betrinke ich mich eben aus meinen eigenen Vorräten. Ich vertrage da schon eine ganze Menge. Auf jeden Fall für mein fucking Alter!!

Freitag, 3. Juni 2016

Bombige erste Ableitung

Das Außenministerium der USA hat den Country Report on Terrorism 2015 vorgestellt, und auch in Deutschland hat man davon Notiz genommen.
Bei SpOn etwa titelt man mit

Zahl der Terrorakte weltweit gesunken - Die Gefahr bleibt
"Nach Angaben der amerikanischen Regierung hat es im vergangenen Jahr weltweit 11.774 Terrorattacken gegeben - und damit 13 Prozent weniger als noch im Jahr 2014. Auch die Zahl der Menschen, die bei solchen Anschlägen ums Leben gekommen sind, ist demnach im selben Zeitraum gesunken: um 14 Prozent auf 28.328, wie es in dem aktuellen Bericht heißt, den das US-Außenministerium nun veröffentlicht hat."
Bei der Süddeutschen heißt es

Zahl der Terroranschläge geht weltweit zurück
"Einem Bericht der US-Regierung ging die Zahl der Terroranschläge 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 13 Prozent zurück. Gleichzeitig starben weniger Menschen. Entwarnung gibt der Bericht jedoch nicht: Die Terrorgefahr werde immer dezentraler und schwerer fassbar."
Läuft im "Krieg gegen den Terror", was?

Allerdings wird der Country Report on Terrorism bereits seit 2005 jedes Jahr veröffentlicht (alle hier), und die alten Berichte haben nicht besonders viel Aufmerksamkeit bekommen. Auf jeden Fall enthalten die heutigen Meldungen nur das, was im Bericht für das Jahr 2015 steht. Macht man sich die Mühe, jährlichen Zahlen für die Anzahl der Terrorakte und die Anzahl der Todesopfer weltweit aus den einzelnen Berichten für die Jahre 2005 bis 2015 herauszusuchen und in eine Zeitreihe einzutragen, dann sieht die Entwicklung des weltweiten Terrors so aus:

Läuft im "Krieg gegen den Terror", was?

Dienstag, 31. Mai 2016

Das war der Mai

"Verniedlichung des IS"? Wer um alles in der Welt wäre je auf die Idee gekommen, den IS zu verniedlichen? "IS-chen mein, magst artig sein?" Aber gut, Verfassungsschützer leben ja in einer eigenen und beunruhigend speziellen Welt…

Ein schlichter Titel für einen Text, der Geschichte schreiben wird! In diesem Gastbeitrag von Frau Prof. Sabisch für die taz begegnet sie dem Vorwurf, Gender Studies seien unwissenschaftlicher Unfug. Und sie stellt darin eine kleine Frage, die dem menschlichen Denken eine neue Richtung geben wird! Sie fragt die Kritiker der Gender Studies:

Natürlich steckt die revolutionäre Natur der Frage nicht in ihrem Gegenstand, es ist deren Wesen! Man muß sie nur auf andere Probleme anwenden:
Wenn Gender-Forschung unwissenschaftlich ist, warum ist sie dann an deutschen Universitäten etabliert? Wenn Gott nur ein Hirngespinst ist, warum gibt es dann so viele Kirchen? Wenn Homöopathie Unfug ist, warum bekommt man dann in jeder Apotheke Globuli? Wenn Cola wirklich so ungesund ist wie immer behauptet, warum trinken so viele Menschen sie dann?
Mit einer einzigen brillanten Frage hat Frau Sabisch das Tor aufgestoßen zu einem neuen Denken, dagegen sind Platonismus, Mechanizismus und der linguistic turn nichts weiter als Fürze in den Wind der Ideengeschichte! Und wir können sagen: Wir sind dabei gewesen!

Nun kann ich mir eine Menge Geißeln der Menschheit vorstellen: Hunger, Krebs, Krieg, RTL,… Daß ausgerechnet die Korruption die größte Geißel von allen sein soll? Aber warum sie es ist, das erfährt man glücklicherweise gleich in der ersten Zeile: "Sie raubt Chancen, verhindert Wachstum und zerstört Volkswirtschaften". Und was Chancen raubt und Wachstum verhindert, das muß der Gipfel des Bösen sein! Dagegen ist jede Geißel, die einfach nur Menschen zerstört, ein Klacks!

Besser als SpOn kann man das aktuelle außenpolitische Denken in seiner Fülle gar nicht in vier Worte packen!

Was für eine geile Meldung! Noch besser als "Benzin aus Katzen"! Und das Beste: Die Schlagzeile ist nicht mal aus der Bild, sondern von der FAZ! Olles Splatter- und Gore-Magazin!

Und? Würde man ruhiger schlafen, wenn die ihre Atomraketen mit Windows 10 steuern würden?

Ein eindrucksvolles Beispiel für die Überlegenheit des Computereinsatzes gegenüber klassischer Mathematik auf Papier: Während auf ein Blatt Papier gerade einmal 80 Ziffern in eine Reihe passen, sind moderne Supercomputer so lang, daß auch 10 000 Ziffern lange Zahlen bequem der Länge nach hinein passen! 


Was bleibt, sind natürlich noch
Die Top 10 Terroranschläge des Monats!

Was für ein Monat für den Terror! Freunde des Menschenzerfetzens dürften voll auf ihre Kosten gekommen sein. Hier sind die Top Ten!

Platz 1:
23. Mai, Jableh & Tartus (Syrien): 184 Tote!

Platz 2:
17. Mai, Baghdad (Irak): 101 Tote!

Platz 3:
1. Mai, Baghdad (Irak): 64 Tote!

Platz 4:
3. Mai, Beni (Demokratische Republik Kongo): 38 Tote!

Platz 5:
1. Mai, Samawa (Irak): 33 Tote!

Platz 6:
29. Mai, Heet (Irak): 25 Tote!

Platz 7:
7. Mai, Baghdad (Irak): 18 Tote!

Platz 8 (geteilt):
9. Mai, Baquba (Irak): 16 Tote!
13. Mai, Balad (Irak): 16 Tote!

Platz 10:
14. Mai, Taji (Irak): 14 Tote!

Insgesamt also eine Spitzengruppe auf hohem Niveau, eindeutig dominiert vom Irak! Völlig abgeschlagen mal wieder:
USA + EU: 0 Tote

Montag, 30. Mai 2016

Präzessionsspiele

Wollen wir vielleicht noch ein kleines bisschen bei der Präzession der Erdachse bleiben? Ist doch ein so schönes Thema! Warum nicht mal wieder eine kleine Tour durch die Astronomie und zu den Wurzeln unserer christlich-abendländischen Kultur machen?!

Wir fangen auch noch mal ganz am Anfang an, bei der Begriffserklärung. Präzession meint die Drehung der Drehachse der Erde um eine Achse senkrecht zur Ebene der Erdbahn. (Keine Sorge, gleich gibt's ein Bild dazu.) Diese Drehung ist ziemlich langsam, sie braucht etwa 25800 Jahre für eine vollständige Runde, und sie verursacht einige einfache aber interessante Effekte. Zur Veranschaulichung betrachten wir aber erst einmal den Fall einer feststehenden Erdachse, ohne Präzession. Hier eine kleine Animation. Das Gelbe ist die Sonne, das Blaue die Erde, der graue Kreis ist die Umlaufbahn der Erde um die Sonne. Die Erdachse ist in rot eingezeichnet, sie steht nicht senkrecht auf der Ebene der Umlaufbahn, sondern ist gegen die Senkrechte (die blaßviolett gestrichelte Linie) geneigt. Der kleine blaßviolette Kreis soll die Lage der Ebene senkrecht zur Erdachse, also die Äquatorebene der Erde, illustrieren. Die dunkelviolette Linie zeigt die Schnittgerade der Äquatorebene mit der Bahnebene an. Die grüne Linie ist die Sonnenrichtung von der Erde aus gesehen.
Fallen die violette und die grüne Linie zusammen, dann steht die Sonne in der Äquatorebene der Erde und es ist Tagundnachtgleiche. Steht die Erde unten in der Animation, dann ist Frühlingstagundnachtgleiche, steht die oben, dann ist Herbsttagundnachtgleiche.
Man sieht sofort, die Tagundnachtgleichen ereignen sich immer an den gleichen Punkten der Erdumlaufbahn, die Sonne steht von der Erde aus gesehen immer in der gleichen Richtung und die Zeiten zwischen zwei Tagundnachtgleichen ist immer gleich lang (wenn die Animation gerade nicht ruckelt).

Das war der Fall einer im Raum feststehenden Erdachse. Nun steht die Erdachse aber nicht fest, sondern sie dreht sich langsam um die Senkrechte zur Erdbahn. Fügen wir also zur Animation noch eine Drehung der Erdachse hinzu, sagen wir mal, eine Umdrehung der Erdachse in fünf Umläufen der Erde um die Sonne. Das ist schneller als in der Realität, aber dann wird die Animation nicht so langatmig. So sieht das dann aus, die Zahlen zählen die Frühlingstagundnachtgleichen durch:
Die Drehung der rot eingezeichneten Erdachse hat drei ziemlich offensichtliche, unmittelbar zusammenhängende Effekte für einen Beobachter auf der Erde:

Erstens zeigt die Erdachse nicht mehr immer in dieselbe Richtung am Himmel, sondern scheint dort einen Kreis zu beschreiben. Für einen Beobachter auf der Erde sieht es so aus, als drehe sich der Himmelsnordpol (die Verlängerung der Erdachse an den Nordhimmel) auf einer Kreisbahn. Zur Zeit zeigt die Erdachse grob in Richtung Polarstern, von dort wird sie sich aber wegbewegen und irgendwann wieder zurückkommen.

Zweitens finden die Tagundnachtgleichen nicht mehr an den selben Orten auf der Umlaufbahn der Erde statt. Die Orte der Frühlingstagundnachtgleichen (markiert durch die Zahlen) rücken auf der Umlaufbahn jedes mal ein Stück weit gegen den Umlaufsinn der Erde auf ihrer Bahn um die Sonne. Und die Sonne steht damit für einen Beobachter auf der Erde zu jeder Frühlingstagundnachtgleiche in einer anderen Richtung. Diese Verschiebung der Richtung der Frühlingstagundnachtgleiche (die heißt etwas kompakter der "Frühlingspunkt") übersetzt sich in die Zeitrechnung: Der Kalender ist an die Frühlingstagundnachtgleichen gebunden, denn man möchte seinen Kalender gerne mit den Jahreszeiten synchronisiert haben, und die hängen mit den Tagundnachtgleichen zusammen. Daher scheint die Richtung der Sonne vor den Sternen an den selben Tagen verschiedener Jahre langsam zu verschieben. Und die Position der Sonne im Tierkreis verschiebt sich auch langsam, denn der Tierkreis ist auch an die Richtung der Frühlingstagundnachtgleiche gebunden, weil… Na, weil's hat so ist. Das ist Astrologie, da sind die Dinge einfach so wie sie sind. Altes Menschheitswissen und so. Ist aber sowieso komplett egal, ob man seinen Kaffeesatz von links nach rechts oder von rechts nach links liest...

Drittens ist jetzt die Zeit zwischen zwei Frühlingstagundnachtgleichen (das sogenannte "tropische Jahr") kürzer als die Zeit für einen Umlauf der Erde um die Sonne im Raum (das "siderische Jahr"): Auf fünf Umläufe der Erde um die Sonne kommen jetzt sechs Frühlingstagundnachtgleichen. Das Verhältnis von 5 Umläufen zu 6 Frühlingstagundnachtgleichen ist natürlich die Folge der für das Beispiel gewählten 5 (siderischen) Jahre für eine volle Drehung der Erdachse. Für die reale Erde ist die Dauer für eine Umdrehung der Achse mit ca. 25800 Jahren deutlich länger, es kommt nur eine zusätzliche Frühlingstagundnachtgleiche auf 25800 Umläufe der Erde um die Sonne (der Unterschied zwischen tropischen und siderischen Jahr beträgt also ~1/25800 Jahre - d.h. etwa 20 Minuten - pro Jahr).

Warum die Erdachse diese Drehbewegung ausführt, das ist nicht so ganz intuitiv einsichtig. Schuld ist die Abplattung der rotierenden Erde. Sonne und Mond ziehen den Wulst der Erde am Äquator an und verursachen damit eine Drehbewegung der Erdachse, eben die Präzession. Auch wenn das Problem physikalisch etwas komplizierter zu Beschreiben ist, es wurde schon 1749 von Jean-Baptiste d'Alembert in den wesentlichen Punkten abgeräumt, in einer Arbeit mit dem knackigen Titel Recherches sur la précession des equinoxes et sur la nutation de l'axe de la terre dans le systême Newtonien [1]. D'Alembert's Erklärung des Phänomens ist auch heute noch brauchbar. Allerdings hat der das Phänomen der Präzession nicht entdeckt. Er hat nur eine physikalische Erklärung gefunden, warum es das Phänomen gibt, daß es das Phänomen gibt, war schon lange vorher bekannt. Eine wissenschaftlich und künstlerisch besonders schöne und kuriose Illustration der Präzession der Erdachse aus dem Jahre 1702 kann man auf dem Fußboden der Kirche Santa Maria degli Angeli e die Martiri in Rom betrachten.

Das Gebäude der Santa Maria degli Angeli hat eine bunte Nutzungsgeschichte. Um 300 n. Chr. als Badehaus errichtet, wurden seine Ruinen um 1560 von Michelangelo in eine Kirche umgebaut. Ab 1700 hat der Astronom Francesco Bianchini die Kirche dann im Dienste von Papst Clemens XI zu einem Sonnenobservatorium ausgebaut. Die damalige Technik der Sonnenbeobachtung bestand darin, durch ein kleines Loch unter dem südlichen Dach ein Bild der Sonne auf den Boden der Kirche zu projizieren und die Position der Sonnenprojektion zur Mittagszeit auf einer im Boden eingelassenen Skala zu vermessen. Das ist ein im Prinzip ausgesprochen primitives Verfahren, aber durch die schiere Größe der Kirchen konnte man damit eine ganz beachtliche Meßgenauigkeit der Sonnenposition am Mittag erreichen. Bianchini kam auf die Idee, ein zweites Loch unter dem nördlichen Dach der Kirche anzubringen und dadurch den Polarstern auf die gleiche Skala zu projizieren. Mehr als künstlerisches denn als wissenschaftliches Element ließ er die tägliche Bahn des Polarsterns, durch das Loch auf den Boden projiziert, in den Boden einlegen. Aber er wußte, daß die Erdachse sich dreht und daher am Polarstern vorbei gleitet. Also lies er gleich die projizierte tägliche Bahn des Polarsterns für die kommenden 800 Jahre in den Boden legen:

Im Jahre 1700 beschrieb die Projektion des Polarsterns einmal am Tag die äußerste der dargestellten Ellipsen. Aber der Himmelsnordpol näherte sich dem Polarstern noch weiter an, und so wurde die tägliche Ellipse auf dem Boden immer kleiner. Die einzelnen, ineinander liegenden Ellipsen entsprechen einem Zeitraum von je 25 Jahren. Um das Jahr 2100 wird der Himmelsnordpol seine größte Annäherung an den Polarstern haben und dessen projizierte tägliche Bahn wird der innersten Ellipse folgen. Von da an wird die sich weiter drehende Erdachse den Himmelspol wieder vom Polarstern wegführen und die Projektion auf dem Boden durchläuft wieder die Ellipsen nach außen, bis sie im Jahr 2500 wieder auf der äußersten Ellipse des Jahres 1700 angekommen sein wird. Von an wird es so etwa 25000 Jahre dauern, bis der Polarstern wieder zurück auf die Ellipsen zurückkehrt. Sollte für eine Ewige Stadt ja kein Problem sein...

Die Präzession der Erdachse war also um 1700 schon ziemlich gut verstanden. Richtig verstanden hatte das Phänomen eigentlich schon Nikolaus Kopernikus. In seinem Hauptwerk De revolutionibus orbium coelstium von 1543 (Buch III, Kapitel 3) führt er die Verschiebungen der Tagundnachtgleichen auf eine Bewegung der Erdachse zurück:
"Dass also die Nachtgleichen und Sonnenwenden mit ungleichförmiger Geschwindigkeit sich ändern, scheint aus dem Vorhergehenden klar zu sein. Es dürfte vielleicht niemand hierfür einen besseren Grund angeben, als eine gewisse Bewegung der Erdachse und der Pole des Äquators; und das scheint auch wirklich aus der Vorstellung von der Bewegung der Erde zu folgen" [2]
Damit hatte Kopernikus als Erstes den Zusammenhang der Verschiebungen der Tagundnachtgleichen mit der Erdachse erkannt. Das Phänomen selbst hatte aber auch Kopernikus nicht entdeckt. Im Kapitel 1 von Buch III schreibt er:
"Da finden wir nun, dass die alten Mathematiker den Jahreswechsel, nämlich den natürlichen, welcher von der Nachtgleiche und der Sommerwende abhängt, von demjenigen nicht unterschieden haben, welcher von irgend einem der Fixsterne an gerechnet wird. […] Der Rhodier Hipparch aber, ein Mann von bewunderungswürdiger Geistesschärfe, bemerkte zuerst, dass sich dieselben von einander unterschieden, und fand, indem er die Grösse des Jahres aufmerksamer beobachtete, das auf die Fixsterne bezogene grösser, als das von den Nachtgleichen oder Sonnenwenden abhängige."
Es ist also schon Hipparch, und der lebte immerhin im 2. Jahrhundert vor Christus, aufgefallen, daß der Zeitraum zwischen zwei Tagundnachtgleichen (das tropische Jahr) kürzer ist als der Zeitraum für einen Umlauf der Erde im Raum (das siderische Jahr). Das war der dritte oben erwähnte Effekt der Präzession und die erwähnten 20 Minuten Unterschied.
Leider kann man nicht mehr nachlesen, was Hipparch selbst dazu gesagt hat, alle seine großen Arbeiten sind verloren gegangen. Aber der Astronom Ptolemäus hat im 1. Jahrhundert nach Christus Hipparchs Arbeit rekapituliert und ausgebaut, und aus seinem Almagest kann man Hipparchs Erkenntnisse erschließen.

In Buch III, Kapitel 1 des Almagest gibt Ptolemäus die Erkenntnisse des Hipparch zur Länge des Jahres wieder:
"Unter allen Aufgaben, welche die Theorie der Sonne uns stellt, ist die erste, die Länge des Jahres zu finden. Die Meinungsverschiedenheit und Unsicherheit, welche bei den Alten über diesen Punkt herrscht, können wir aus ihren Schriften ersehen, und besonders aus denen des keine Mühe scheuenden und wahrheitsliebenden Forschers Hipparch, denn auch ihm verursacht in hohem Grade Unsicherheit über den fraglichen Punkt der Umstand, daß bei der an die Wenden und Nachtgleichen geknüpften scheinbaren Wiederkehr die Länge des Jahres kürzer befunden wird als der Zusatz eines Vierteltags über volle 365 Tage, länger dagegen bei der auf die Fixsterne theoretisch bezogenen Wiederkehr. Daher kommt er auf die Vermutung, daß auch der Fixsternsphäre ein Fortschritt von langer Zeit eigen sei, und zwar eine Bewegung, die sich, wie die der Wandelsterne, gegen die Richtung des Umschwungs vollziehe, der die erste (d. i. tägliche) Umdrehung in Beziehung zu dem durch die Pole des Äquators und der Ekliptik gehenden (Kolur-) Kreis bewirkt." [3]
In Buch VII, Kapitel 2 erläutert Ptolemäus das Phänomen der Verschiebung der Position der Sonne zu den Zeiten der Tagundnachtgleichen:
"In der Schrift 'Über die Veränderung der Wende- und Nachtgleichenpunkte' gelangt nämlich Hipparch durch Vergleichung von zu seiner Zeit genau beobachteten Mondfinsternissen mit solchen, welche noch früher von Timocharis beobachtet worden waren, zu dem Ergebnis, daß die Spika von dem Herbstnachtgleichenpunkt gegen die Eichtung der Zeichen zu seiner Zeit 6 Grad, zu Timocharis' Zeit dagegen nahezu 8 Grad entfernt stand. […] Als wir selbst die scheinbaren Entfernungen der Fixsterne von den Wende- und Nachtgleichenpunkten, wie sie sich zu unserer Zeit darbieten, mit den von Hipparch beobachteten und aufgezeichneten Abständen verglichen, fanden wir gleichfalls, daß ein Weiterrücken in der Richtung der Ekliptikzeichen dem oben mitgeteilten Fortschritt entsprechend stattgefunden habe. [4]"
In der Antike kannte man also die Effekte der Präzession, die geringere Länge des tropischen Jahres gegenüber dem siderischen Jahr und die Verschiebung der Sonnenpositionen, bereits gut, man konnte sie nur noch nicht mit einer Bewegung der Erdachse in Verbindung bringen und glaubte stattdessen an eine Drehung der Fixsternsphäre.
Die Präzession der Erdachse bzw. die von ihr hervorgerufenen Effekte wie die Verschiebung der Sonnenpositionen mit den Jahren sind im allenthalben geschätzten abendländischen Kulturkreis also seit irgendwo in der Mitte des 2. Jahrhunderts vor Christus bekannt, wo die Entdeckungsgeschichte sich langsam in die Nebel der Geschichte hüllt.

Wie würde wohl Ptolemäus reagieren, würde man ihm erzählen, daß es 1900 Jahre nach einem Tod eine Profession geben wird, deren Angehörige man "Journalisten" nennt. Und das es zur Beschäftigung dieser Profession gehört, alle paar Jahre astronomische Tatsachen, die für Ptolemäus bereits zum jahrhundertealten Standardwissen gehören, dem Volk immer wieder als den neuen Heißen Scheiß zu verkaufen?

Du bist unter einem anderen Sternzeichen geboren als du denkst
Denn während sich die Position der Erde in Relation zu den Sternen langsam veränderte, hatte niemand dran gedacht, den astrologischen Kalender zu aktualisieren. Willkommen außerhalb der Matrix, unser Leben war eine Lüge!
Alle 26.000 Jahre beginnt die Erde ein wenig zu eiern – ähnlich eines nicht mehr ganz so schnellem Kreisels. Dieser Effekt wird Präzession genannt und entsteht durch die Gravitationskraft der Sonne und des Mondes. Dadurch haben sich unsere traditionellen Sternbilder fast um einen ganzen Monat nach hinten verschoben, wie die BBC herausfand.
ze.tt, 27. Mai 2016 [5]

Das unbekannte 13. Sternzeichen, der Schlangenträger
Ein Professor für Astronomie behauptet, dass wir an die falschen Horoskope glauben. Es gibt mehr als nur die zwölf Tierkreiszeichen.
Ursache dafür ist ein durch die Anziehung des Mondes bedingtes Taumeln der Erdachse, wodurch sich der scheinbare Himmelsnordpol ständig verschiebt. Diese Schwankungen der Erdachse, Präzession genannt, bedingen nach Kunkle auch, dass die bisherige Vorstellung von einer weitgehend gleichmäßigen Aufteilung der Sternzeichen von etwas 30 Tagen eine Illusion sei.
Die Welt, 3. Februar 2011 [6]

Überrasche Astrologen
Waage ist jetzt Jungfrau
Seit den Babyloniern erstellen Astrologen Horoskope anhand der zwölf Sternzeichen. Jetzt haben auch sie endlich bemerkt, dass es am Firmament heute ganz anders aussieht als vor 3500 Jahren.
Weil die Ausrichtung der Erdachse taumelt wie ein Kreisel in Zeitlupe, haben sich die Tierkreiszeichen deutlich verschoben, seit die Babylonier ihnen um das Jahr 1500 vor Christus eine Bedeutung für menschliche Charaktere und Schicksale zuordneten.
Süddeutsche, 11. Januar 2011 [7]

Vielleicht würde Ptolemäus fragen, ob diese "Journalisten" denn ungebildete Sklaven seien. Aber natürlich sind es keine Sklaven! Es sind halt nur keine Griechen, sondern Barbaren aus den Nordländern...

Freitag, 27. Mai 2016

And the weel in the sky keeps on turnin'…

Hurra, es ist wieder soweit! Endlich, ich musste schon viel zu lange darauf warten! Aber jetzt ist es wieder soweit! Wir sind gar nicht unter den Sternzeichen geboren, von denen wir glaubten, unter ihnen geboren worden zu sein! Hat die BBC herausgefunden! Schreibt die Zeit. Na gut, schreibt ihr hipper Ableger ze.tt. Und damit vermeldet endlich wieder ein deutschsprachiges Qualitätsmedium zum ersten Mal seit Januar 2011 die ewig junge Geschichte von der Präzession der Erdachse und der Verschiebung der Sternbilder im Tierkreis!
Hier der Rückblick. Der letzte große Aufklärer war übrigens die Süddeutsche. Es wäre wohl angebracht, einen Wanderpokal für die neueste professionelle deutschsprachige Publikation über die falschen Tierkreiszeichen auszuloben: den Präzessionator!


Hier mit überreiche ich ihn der ze.tt! Glückwunsch! Und seien wir schon gespannt, an wen die Auszeichnung in wenigen Jahren weitergereicht werden wird! Wenn es wieder einmal heißt: Hey, stellt euch vor, was wir herausgefunden haben! Wir sind gar nicht unter den Sternbildern geboren worden, von denen wir das dachten!

Donnerstag, 5. Mai 2016

Hardcore Bolognese

Manchmal gibt es wissenschaftliche Werke von so großer Bedeutung, daß sie innerhalb einer wissenschaftlichen Community über viele Jahrzehnte hinweg als Originalarbeit zitiert werden. Dumm ist es nur, daß solche Werke dann mitunter aus einer Zeit vor der Erfindung des Hirsch-Index stammen, aus einer Zeit, in der es sich ein Wissenschaftler leisten konnte, interessante Gedanken auch irgendwo abseits in einem kleinen Konferenzband zu veröffentlichen. In einem solchen Fall sind die Quellen dann in späteren Jahrzehnten nur schwerlich aufzutreiben. Mir selbst lief eine exzessiv zitierte Quelle aus den 1950ern über den Weg, die ein hübsches Übungsbeispiel für die textkritische Methode abgegeben würde. Der Originaltext findet sich in einem ausgesprochen seltenen Sammelwerk und wurde wahrscheinlich seit den 1960ern von niemanden, der ihn zitiert, im Original gelesen. Alle zitieren ihn nur nach anderen Zitaten und letztlich lässt sich eine leichte Tendenz zur Divergenz feststellen bezüglich dessen, was im Ursprungstext denn nun gesagt sei. Besonders schön ist ein kleiner Namensfehler, der sich in den 1990ern in einem Lehrbuch eingeschlichen hatte. Seither gibt es zwei Traditionen der Überlieferung, ein Zweig zitiert das Originalwerk mit dem richtigen Namen im Zitat und einer geht offenbar von besagtem Lehrbuch aus und zitiert mit dem falschen Namen.
Da ich selber aber der Philologie nicht so zugeneigt bin, fasste ich eines Tages einen verwegenen Plan: Ich wollte den Originaltext auftreiben und alle Missverständnisse meiner Generation ausräumen! Auf eine Digitalisierung des Werks braucht man gar nicht zu hoffen und laut einer europaweiten Bibliothekssuche gibt es in ganz Europa keine drei duzend Bibliotheken, die das gesuchte Sammelwerk in ihren Archiven wissen. Und von diesen Bibliotheken liegt keine in meiner Gegend. Es fiel mir aber auf, daß die Universitätsbibliothek von Bologna zu diesen wenigen ausgezeichneten Bibliotheken gehört. Und da mich meine Wege ohnehin kürzlich nach Bologna führten, wollte ich die Gelegenheit nutzen und in ein paar freien Stunden den Originaltext endlich auftreiben. Und darum geht es im folgenden Text - um den Besuch einer Bibliothek! Ja, das ist ein Sujet, welches dem Leser wenig aufregend und für einen Spannungsbogen kaum tragfähig genug erscheinen mag. Das hätte ich auch gedacht - bevor ich die Universitätsbibliothek von Bologna kennenlernte! Jenen Ort, der in seiner langen Geschichte bereits Franz Kafka, David Lynch und dem frühen Dieter Hallervorden als Quelle der Inspiration für ihr künstlerisches Schaffen gedient haben muß!
Also. Es begann an einem Morgen, an dem eine gleißende Sonne von einem wolkenlosen Himmel ihr warmes Licht großzügig über das Zentrum von Bologna ausgoß. Doch schon bald sollte sich die Sonne verdunkeln...


Beinahe euphorisch berauscht von meinem eigenen, vorbildlichen wissenschaftlichen Eifer oder vom fast schon Indiana-Jones-igem Gefühl, bald der erste Mensch zu sein, der seit Jahrtausenden Jahrzehnten wieder einen Blick auf die Originalzeilen wirft, oder vielleicht auch einfach nur von den drei Frühstücksespressi in meiner Blutbahn, trete ich aus der strahlend hellen Morgensonne hinein in die dunklen Gänge der Alma mater studiorum. Ich quetsche meine Tasche in eines der Schließfächer im Korridor vor dem Eingang zur Universitätsbibliothek und mache mich schwungvollen Schrittes auf den Weg hinein. Mitten in der Tür läßt mich der laute Schrei
"Halt! Sie da! Stehen bleiben!"
innehalten. Es war ein Schrei in jenem Tonfall, wie ihn nur ein bestimmter Menschenschlag hervorzubringen vermag. Jener Tonfall, in dem Aggressivität gerade so eben den Anflug von Panik angesichts eines befürchteten Kontrollverlusts zu überdecken vermag. Ein Tonfall, in dem einem ein unsicherer Sachbearbeiter auf dem Bürgeramt das "Aber Sie haben das Formular ja vollkommen falsch ausgefüllt!" entgegen schleudert. Oder wie ihn Pförtner haben, wenn man ohne sie zu beachten an ihnen vorbei rauscht.
Ich drehe mich um und eine Pförtnerin kommt aus einem kleinen Kabuff auf mich zu gerannt:
"Sie da, stehen bleiben! Wo wollen Sie denn hin?"
Eine seltsame Frage an jemanden, den man in der Tür zur Bibliothek gestoppt hat. Ich habe schon viele Agentenfilme gesehen und weiß daher, die beste Strategie besteht darin, so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben. Ich antworte:
"In die Bibliothek."
"Und was wollen Sie da?"
Noch eine merkwürdige Frage. Was könnte ich in einer Bibliothek wollen? Eier, Milch, 150 Gramm Aufschnitt… Ich will ihren Sinn für's Bizarre testen und gebe die maximal provozierende Antwort:
"Ein Buch."
"Sie gehen da nicht rein."
Ok, jetzt bin ich aber auch mal dran mit blöden Fragen:
"Tu' ich nicht?"
"Nein. Sie müssen mir Ihren Ausweis geben wenn Sie da rein wollen."
Ah. Das Lesen in den Zeiten des Terrors oder was? Wenn ein Selbstmordattentäter den Lesesaal zur Hölle schickt, dann soll die Polizei gleich seinen Ausweis haben, wie es sich für Terroranschläge heutzutage gehört? Egal. Ich erkläre ihr, daß mein Ausweis in meiner Tasche und meine Tasche im Schließfach ist und gehe zurück um ihn zu holen. Als ich wiederkomme hat sich die Pförtnerin, offenbar beruhigt, die Kontrolle über die Situation zurückgewonnen zu haben, wieder in ihr Kabuff zurückgezogen und hinter einem keinen Tisch platzgenommen. Ich schiebe ihr meinen Reisepass hinüber, doch Kerberos würdigt ihn keines Blickes. Stattdessen lehnt sie sich, auf beide Unterarme gestützt, vor und sieht mich scharf von unten an:
"Sie benutzen ein Schließfach?"
Langsam beginnt sich eine gewisse Genervtheit in meine Unsicherheit zu mischen:
"Ja, ich benutze ein Schließfach."
"Welches!"
Eigentlich war dies eine Frage, aber ein Ausrufezeichen gibt den Tonfall besser wieder.
"Eines von denen dahinten."
Ich zeige hinaus.
"Welches!"
"Mittlere Reihe das erste von rechts!"
"Welche Nummer!"
"Das weiß ich doch nicht welche Nummer das hat! Es ist das erste von rechts!"
"Sie müssen mir ihre Schließfachnummer sagen sonst kommen Sie nicht rein."
Ich laufe wieder zurück zum Schließfach, komme zurück zur Pforte des Grauens und berichte ein
"63."
Die Pförtnerin füllt ein weißes Formular aus. Es ist an einer Seite perforiert, so daß ein Stück abgetrennt werden kann. Das größere Stück des geteilten Formulars schiebt sie zusammen mit meinem Pass in eine hölzerne Karteikiste. Das andere Stück gibt sie mir in die Hand und gestattet mir mit einem Verdrehen der Augen die Passage in die noch dunkleren Hallen der Bibliothek.

Im zweiten Stock komme ich zu einer sehr großen Theke mit einer sehr kleinen Bibliothekarin dahinter. Ich bin bestens vorbereitet und äußere mein Verlangen nach einem Schatz ihres Archivs, vollständig mit Autor, Titel, Herausgeber, Ort und Jahr der Veröffentlichung und sogar mit Signatur. Ich habe mich mit dem Onlinekatalog wirklich sehr gut vorbereitet. Ich habe ein rotes Formular auszufüllen. Auch dieses ist perforiert, sogar zweimal. Ich fülle alles mehrfach aus, notiere Name, Anschrift, Staatsbürgerschaft, Geburtstag, Beruf und die Nummern auf dem kleinen weißen Zettel vom Eingang auf die drei Teile des des Formulars. Als ich der Bibliothekarin sage, daß mein Pass bei der Pförtnerin ist, gestattet sie mir, das Feld für die Ausweisnummer leer zu lassen. Dann zerteilt sie das Formular routiniert in drei Stücke. Eines drückt sie mir in die Hand, eines wandert in eine hölzerne Karteikiste auf ihrer Theke, eines verschwindet auf einen Stapel im Hintergrund.
Doch, tatsächlich, diese Bibliothek verfügt auch über einen Onlinekatalog!
Von da an geht es recht schnell voran. Nach kurzem Warten und einem kurzen Abgleich meines roten und weißen Zettels mit dem nun im Buch steckenden roten Zettel vom Hintergrundstapel händigt die kleine Bibliothekarin mir ein dickes Buch in fleckigem Einband aus und entlässt mich damit zu den Lesetischen. Es irritiert sie auch nicht im mindesten, daß ich dreimal meinen Platz wechsle bis ich eine helle aber nicht direkt beleuchtete Ecke eines Tisches gefunden habe und die nächste halbe Stunde Seite für Seite abfotografiere. Meinen nächsten Fehler mache ich erst, als ich fertig war. Ich gehe zur wirklich sehr großen Theke und schiebe der Bibliothekarin das Buch mit den Worten
"Danke, das war's"
hinüber, dann wende ich mich zum Gehen. Nach nur wenigen Schritten höre ich von hinten ihren Ruf:
"Stehen bleiben! Wo wollen Sie denn hin?"
Bitte nicht schon wieder! Ich wende mich um:
"Ich will hier raus. Ich will zurück in die Sonne! Ich will meine Fotos auf den Laptop laden, alles zu einem hübschen pdf packen und mich in die Lektüre stürzen!"
Sie bleibt ungerührt:
"Sie gehen nirgendwo hin. Kommen Sie wieder her!"
An der Theke fordert sie mit einer harschen Geste meine Zettel. Sie legt meinen kleinen weißen Zettel, meinen roten Zettel, den roten Zettel aus ihrer Karteikiste und den roten Zettel aus dem Buch nebeneinander und beginnt, sie sorgfältig abzugleichen. Dann naht der einzige, wahre und überwältigende Moment der Erlösung aus einer grausamen Welt der Bürokratie: Die Bibliothekarin greift nach einem großen Stempel. Sie muß gut zielen, er paßt gerade so eben auf die kleinen Zettel. Dann stempelt sie ein großes, fettes "ZURÜCKGEGEBEN" auf die drei roten Zettel. Meinen weißen Zettel und meinen roten Zettel gibt sie mir zurück mit den Worten
"Jetzt ist alles erledigt."
Die übrigen Zettel wandern in eine andere hölzerne Karteikiste. Ich schaue kurz auf meinen roten, irgendwie beruhigend bestempelten Zettel und murmle ein knappes aber vom tiefsten Grunde meines Herzens emporgestiegenes
"Danke."

Nein, das war es noch nicht ganz. Eine Episode bleibt noch. Schließlich muß ich vor dem Ritt in den Sonnenuntergang noch Kerberos dazu bringen, mir meinen Pass wiederzugeben. Die Pförtnerin sitzt noch immer hinter ihrem Tisch und schaut lauernd in die Eingangshalle hinein. Ich schiebe ihr den kleinen weißen Zettel, den sie mir bei unserer letzten Begegnung gegeben hatte, über den Tisch mit den Worten:
"Sie haben noch meinen Pass."
"Und?"
"Den hätte ich dann doch gerne zurück."
"Dazu brauche ich den Zettel."
Einen Moment lang schaue ich irritiert auf den kleinen weißen Zettel auf der schmuddeligen Holztischplatte zwischen uns, dann verstehe ich und hebe den roten "ZURÜCKGEGEBEN"-Zettel hoch. Soll dieser hart erworbene Zettel der Preis sein, den zu zahlen ich gezwungen bin, will ich zurückkehren in die Welt der Lebenden? So will ich nicht zögern! Ich schiebe ihr auch den roten Zettel hin. Sie nimmt meinen Pass mit ihrem Teil des weißen Zettels aus der Karteikiste, packt ihren weißen Zettel mit meinem roten Zettel in eine andere Kiste und händigt mir meinen Pass mit meinem weißen Zettel aus. Und dann durchschreite ich das Tor hinaus in eine von hellen Mittagslicht durchflutete Welt.

Was bleibt sind Fragen. Was, hätte ich mich geirrt und das Buch wäre nicht im Archiv gewesen? Hätte ich dann keinen roten "ZURÜCKGEGEBEN"-Zettel bekommen und wäre auf ewig in den dunklen Hallen der Bibliothek gefangen gewesen? Was, wenn ich zwei Bücher angefragt, dann aber nur einen "ZURÜCKGEGEBEN"-Zettel an der Pforte vorgelegt und außerdem eine falsche Schließfachnummer angegeben hätte? Wäre das das perfekte Verbrechen gewesen? Und diente der ganze Unsinn nur dazu, daß Italiener einem Deutschen mal zeigen können, wie richtige Bürokratie geht, hardcore auf toten Bäumen? Ich werde die Antworten nicht erfahren. Aber ich werde die Fragen auch nicht vergessen, ein kleiner weißer Zettel erinnert mich an sie. Ein Zettel, auf dem mit blauem Kugelschreiber vermerkt ist, daß ich der Besucher 17 an jenem Tag in der Universitätsbibliothek von Bologna war. Und daß ich das Schließfach Nummer 63 hatte.

Solltest Du, oh Leser, eines Tages einmal vor dem Schießfach mit der Nummer 63 am Eingang zur Universitätsbibliothek von Bologna stehen, so halte für einen Augenblick inne und gedenke meiner! Gedenke meiner als eines einfachen Reisenden, der hier ein und wieder aus ging zur Zeit des fünften Mondes des Jahres 2769 ab urbe condita. Gedenke meiner, und mein schützender Segen wird über Deinem Besuch liegen!