Samstag, 12. Juni 2010

Der agnostische Fehlschluß fehlgeschlossen

Heute also kommen wir noch einmal zum Thema Atheismus zurück. Eine schöne Zusammenfassung des atheistischen Standpunkts findet sich in dem Text "Der agnostische Fehlschluss oder Warum Richard Dawkins irrt", einem Gastbeitrag in dem ansonsten eher harmlosen Blog Astrodicticum Simplex:
"Aus diesem Grund, kann man beruhigt feststellen, dass es mit absoluter Sicherheit keine 'Götter' geben kann."
Das ist immerhin eine erstaunlich klare Aussage, und der erwähnte Grund wird auch ausgiebig erläutert, so das es vieleicht die Mühe wert ist, den Grund als unsinnig zu widerlegen. Fangen wir also an:

Zunächst mal muß man die unklare Wortwahl im Artikel bemänglen und der Klarheit halber etwas ordnen. Besonders wichtige Begriffe sind hier "Gott", "undenkbar" und "sinnvoll". Fangen wir mit "Gott" an.

Es scheint mir dringend geboten, zwischen drei verschiedenen Gottesbegriffen zu unterscheiden, nämlich zum ersten dem Offenbarungsgott. Dieser hat der Menschheit in vielen spannenden Büchern erklärt, daß sie sich die Vorhäute abschneiden sollen, keine Schweine essen dürfen, oder was immer sonst ihm gerade im Laufe der Geschichte wichtig war. Zum zweiten gibt es den philosophischen Gott, der sich nicht dem Menschen offenbart, sondern der eher ein abstraktes Prinzip ist, etwa der Letzte Grund, das Höchste Wesen, oder was auch immer. Und zum dritten ist da der mystische Gott, einem Gott, von dem wir gar nichts wissen können und der immer gerade außerhalb dessen liegt, was wir mit unserem Verstand zu fassen vermögen. Diesen Gott kann man gewissermaßen gar nicht fassen, sondern durch das Denken höchstens einkreisen.
Die Unterscheidung zwischen diesen verschiedenen Göttervorstellungen ist sehr wichtig, denn sie liegen auch in argumentativer Hinsicht auf völlig verschiedenen Ebenen. So kann man gegen den Offenbarungsgott mit vernünftigen Argumenten gar nicht ankommen, denn er erhebt gar nicht den Anspruch, logisch greifbar zu sein, sondern bleibt immer nur Glaubenssache. Und wenn man sich auf den Standpunkt zurückzieht, im Zweifel das Wort in einem Buch der Logik vorzuziehen, dann ist jede Diskussion erledigt. Ganz anders steht es um den philosophischen Gott, der ja gerade den Anspruch erhebt, aus der Logik und dem Verstande hervorzutreten. Und hier lassen sich zumindest gute Argumente vorbringen, weshalb man eine bestimmt Argumentation über den philosophischen Gott akzeptiert oder ableht. Der mystische Gott ist natürlich auch nicht greifbar, denn er liegt immer ausserhalb der argumentativen Zugänglichkeit. Allerdings zeichnet dieser sich im Gegensatz zum Offenbarungsgott durch eine gewisse Plastizität aus. Er ist nicht an ein gegebenes Wort gebunden, und wenn ein bestimmter Bereich der Vorstellung gewissermaßen erschlossen wird, dann weicht der mystische Gott eben auf einen anderen, unerschlossenen Bereich aus.
Und wenn man nun gegen Gott argumentiert, so sollte man sich im Klaren darüber sein, gegen welchen dieser Gottesbegriffe man eigentlich vorgehen möchte. Ansonsten ist es sehr bequem, im Laufe der Argumentation unausgesprochen den Gottesbegriff zu wechseln, mitunter auch mehrmals, um so zu mitunter sehr interessanten Schlüssen zu gelangen. Die Gläubigen machen so etwas sehr gerne und fast schon routinemäßig, und auch die Atheisten können dieser Versuchung längst nicht immer widerstehen, wenn es darum geht, ihrer Ablehung Gottes eindrucksvolle Argumente zu verschaffen.

Der zweite wichtige Beriff ist "undenkbar". Hier droht auch wieder eine schleichende Verschiebung der Wortbedeutung, um zu interessanteren Ergebnissen zu bekommen. Manchmal scheint im Text etwa "undenkbar" zu heißen, daß wir uns etwas überhaupt nicht denken können. Etwa da, wo "Undenkbares" mit "außerhalb unseres Erkenntnishorizonts" gleichgesetzt wird:
"Alle Aussagen, die sich auf den Bereich beziehen, der hinter der Grenze unseres Erkenntnishorizonts liegt, sind, egal wie sie lauten, unsinnig und überflüssig. Man kann zwar behaupten, man sage etwas über das Undenkbare, tut es aber faktisch nicht, da etwas Sinnvolles zu sagen und es nicht sinnvoll denken zu können, sich notwendig ausschließen."
Allerdings tauchen dabei auch immer wieder Relativierungen wie "sinnvoll denken" auf. Also scheint das "Undenkbare" irgendwie auch nicht mehr zu bedeuten als das "nicht sinnvoll denkbare", was einen erheblichen Unterschied machen würde. Die grundsätzliche Verwirrung, die bei mir also bleibt, ist die, ob in dem Satz
"Wir sind also prinzipiell dazu verdammt, nur Aussagen über das Denkbare treffen zu können."
mit "denkbar" eigentlich "sinnvoll denkbar" gemeint ist, oder doch alles, was ich zu denken in der Lage bin? Denn es mag zwar einiges geben, das wir uns gar nicht denken können, und natürlich können wir darüber trivialer Weise auch gar nichts sagen. Denn wie sollte ich einen Gedanken artikulieren, den ich niemals hatte? Wie soll ich wissen, das etwas existiert, an das ich niemals gedacht habe? Bei dieser Bedeutung von "undenkbar" wären wir also schnell am Ende unserer Betrachtungen angelangt. Allerdings ist damit noch gar nichts im Hinblick auf Gott gewonnen, denn an den habe ich ja schon gedacht, gerade jetzt etwas, indem ich diese Zeilen schreibe. Gott, mit weißem Bart und Kittel, oder Gott, der unbewegte Beweger. So, jetzt habe ich schon mal detailreiche Gedanken über Gott gehabt. Und damit ist Gott schon mal denkbar. Wahrscheinlich ist mit "denkbar" also doch eher etwas wie "sinnvoll denkbar" gemeint. Es muß eine solche andere Bedeutung von "undenkbar" sein, um die es hier geht. Und diese ist eher die Bedeutung von "nicht schlüssig denkbar" oder "nicht begreifbar", oder "nicht vorstellbar". Um welche Bedeutung es bei unserer Betrachtung über Gott genau geht, hängt auch vom Gottesbegriff ab, um den es gehen soll. So ist der Offenbarungsgott sicherlich nicht schlüssig denkbar, wohl aber der philosopische Gott. Der ist aber wohl nicht anschaulich begreifbar, während der mystische Gott nicht vorstellbar ist.

Der dritte Begriff, den es noch im Vorfeld zu klären gilt, ist "sinnvoll", als Prädikat einer Aussage. Offensichtlich hängt es sehr von der individuellen Einstellung ab, was man als sinnvoll erachtet. Umso dringender ist es, hier eine nähere Bestimmung von "sinnvoll" zu geben. Hier könnte man sicherlich zu sehr langen Ausführungen ansetzten, aber wir müssen wohl ein bißchen abkürzen, um heute noch von der Stelle zu kommen. Betrachten wir als eine sinnvolle Aussage eine Aussage, die eine Bedeutung hat. Und unter Bedeutung wollen wir verstehen, daß wir wissen, wie wir eine Aussage auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen können. Zur Veranschaulichung seien noch drei Beispiele angeführt. So sind die Sätze Der Mond besteht aus Käse. und Sonntags hat der Supermarkt an der Ecke geschlossen. beides sinnvolle Sätze, und zwar im ersten Falle ein falscher und im zweiten Fall ein wahrer Satz. Sinnvoll sind sie, weil ich weiß, wie ich den Wahrheitswert der Sätze bestimmen kann. Nämlich im ersten Fall, indem man zum Mond fliegt, und im zweiten Fall indem ich am Sonntag zum Supermarkt an der Ecke gehe, und man in beiden Fällen nachsieht. Der Satz Der heutige Kaiser von Deutschland wiegt über 100 kg. dagegen ist unsinnig, denn es gibt heute keinen Kaiser von Deutschland. Also kann ich auch nicht überprüfen, wieviel er wiegt, auch wenn ich für eine Gewichtskontrolle selber schon Methoden kenne.
Die hier aufgeführte Vorstellung von sinnvoll zeigt sehr deutlich, daß es einen großen Unterschied "sinnvoll" bzw. "sinnlos" und "wahr" bzw "falsch" gibt. Ein sinnloser Satz ist nicht falsch! Ein sinnloser Satz ist ein Satz, bei dem es unmöglich ist festzustellen, ob er wahr oder falsch ist.
Vieleicht werden Atheisten etwas gegen diesen Begriff von "sinnvoll" einzuwenden haben. Aber dann werden sie immerhin genötigt, ihre Argumenationen und Begriffe klar darzustellen, und das wäre ja auch schon mal ein Gewinn für die Diskussion.

Jetzt haben wir schon fast alles beisammen, was wir für unsere Betrachtungen über die Nichtexistenz Gottes vorab brauchen. Wir müssen uns nur noch für unseren Gottesbegriff und der mit ihm verbundenen Bedeutung von "denkbar" entscheiden. Und das sollte uns nicht schwer fallen. Natürlich sprechen wir vom philosophischen Gott und damit von "nicht anschaulich begreifbar" als die Bedeutung von "undenkbar". Denn dieser Gottesbegriff ist der einzige, der sich einer logisch-sprachlichen Analyse zu unterwerfen bereit ist, und nicht mit einem patzigen "Logik und Sprache gehen mich nichts an!" alle Bemühungen abschmettert.

Fangen wir also an. Endlich.

"Wir sind also prinzipiell dazu verdammt, nur Aussagen über das Denkbare treffen zu können."
Das ist falsch. Anstatt abstrakter Analysen helfen ein paar Beispiele aus dem reichen Schatz der modernen Wissenschaften, um diesen Punkt zu klären.
Immanuel Kant hielt es in der Kritik der Reinen Vernunft für undenkbar, daß der Raum, in dem wir leben, nicht eine 3-dimensionale, euklidische Geomentrie hat. Und von einem gewissen Standpunkt aus hat er auch recht. Ich habe mir noch nie einen nicht-euklidischen, 3-dimensionalen Raum um mich herum vorstellen können, und ich kenne auch niemanden, der von sich behauptet, es zu können. Und dennoch leben wir schon seit geraumer Zeit offiziell in einem 4-dimensionalen, ausgesprochen nicht-euklidischen Raum. Und das, ohne ihn begreifen zu können. Das ist aber auch gar nicht notwenig, denn wir haben die Möglichkeit, diesen nicht begreifbaren Raum operational handzuhaben. Alles, was wir dafür benötigen, ist die richtige Sprache, und das ist die Sprache der Relativitätstheorie. Wir müssen halt ein bißchen Tensorrechnung üben, und die Handhabung mag technisch umständlicher sein als die des euklidischen Raumes, aber im Prinzip können wir mit einem undenkbaren Raum genauso klar und eindeutig umgehen wir mit einem denkbaren.
Lassen wir aber mal die Physik und nehmen wir stattdessen lieber noch einige viel schönere Beispiele aus der Mathematik. Unendlichkeiten zum Beispiel. Können wir unendliche Mengen anschaulich begreifen? Wohl kaum. Und doch können wir wunderbar mit Unendlichkeiten umgehen. Angefangen bei Cantor, dank dem wir verschieden große Unendlichkeiten miteinander vergleichen können, und so die natürlichen Zahlen gewissermaßen über das Unendliche hinaus erweitern können. So wissen wir, daß die Menge der natürlichen Zahlen die kleinste unendliche Menge ist, daß die Menge der rationalen Zahlen genauso groß ist wie die Menge der natürlichen Zahlen, und daß die Menge der reelen Zahlen eine größere Unendlichkeit als die Menge der natürlichen Zahlen hat. Alles, was zu diesen Erkenntnissen nötig war, ist die richtige Sprache, in der die Probleme sinnvoll gehandelt werden können. Hier ist es die Sprache der Mengenlehre und der Theorie der Abbildungen. Und wir können noch viel weiter in den Bereich des Undenkbaren vordringen! Was wir dazu brauchen, sind Ultrafilter auf unendlichen Mengen. Kann sich die jemand denken? Dennoch folgt ihre Existenz aus dem Auswahlaxiom, und sie erlauben die mathematische Formulierung der Nichtstandardanalysis. Und in der können wir mit unendlich großen und unendlich kleinen Zahlen herumrechnen wie mit den Anzahlen von Bonbons auch.

Es sollte nun klar sein, daß es einen erheblichen Unterschied zwischen "denkbar" und "handhabbar" gibt. Auch undenkbare, im Sinne von nicht anschaulich begreifbare Zusammenhänge können mit Hilfe der richtigen Sprache, etwa der richtigen logischen, mathematischen und physikalischen Formulierungen, problemlos gehandhabt werden, egal wie kontra-intuitiv die Zusammenhänge sind. Und natürlich ist das Sprechen über die Undenkbarkeiten vollkommen sinnvoll. Denn dazu war es ja nur notwendig, das der Wahrheitswert einer Aussage im Prinip bestimmbar ist. Und Aussagen über die Struktur der vierdimensionale Raumzeit in der Nähe einer Masse von Milliarden Sonnenmassen ist in ihrem Wahrheitsgehalt bestimmbar, wenn man die Sprache (d.h. den Rahmen) der Relativitätstheorie verwendet. Dort sind alle Begriffe wie Raumzeit und Masse mit Bedeutung belegt. Problematisch wird es erst, wenn ich Fragen stelle wie die nach der tatsächlichen Existenz der vieldimensionalen Raumzeit. Denn Begriffe wie "tatsächliche Existenz" habe in der Sprache der Relativitätstheorie keine Bedeutung. Also kann ich auch nicht den Wahrheitswert einer Aussage über "tatsächliche Existenz" bestimmen. Eine solche Aussage ist also sinnlos. Zumindest, solange niemand die Relativitätstheorie um diesen Begriff erweitert.

Jetzt wird es Zeit, zu Gott zu kommen. Das Gott nicht denkbar ist, ist also zunächst einmal kein Hindernis, um sinnvoll über Gott sprechen zu können. Alles, was wir dazu benötigen, ist eine geeignete Sprache. Und die gibt es ganz zweifellos. Als ein schönes Beispiel möge der formalisierte Neuthomismus dienen, etwa in der Variante von Edward Nieznański. Die Sprache besteht hier aus einer Modallogik, in der Existenz als Prädikat betrachtet wird. Das mag für alle nicht-Theologen ein großen Pfui-Pfui sein, aber dennoch, damit ist ein sinnvolles Sprechen möglich. Auch "Gott" hat in dieser Theorie mitunter eine eindeutige Definition. In Rahmen der Gottesbeweise ex contingentia mundi im Neuthomismus ist Gott definiert als das Notwenig Seiende. Und bevor hier gleich die ein Protest gegen die philosophische Sprache aufbraust, auch das "Notwengig Seiende" wird definiert, etwa als etwas, das zureichender Grund seiner selbst ist. Und auch "zureichender Grund" wird definiert, aber bald wird das alles zu lang, um es an dieser Stelle wiederzugeben. Um es zusammenzufassen, es ist so z.B. möglich, den Gottesbeweis ex contingetia mundi auf sieben Axiome, einer Reihe von Definitionen, und die erwähnte Modallogik zu reduzieren. Zweifellos ist man alles andere als verpflichtet, die Axiome anzuerkennen, aber sinnvolles Sprechen über Gott ist damit möglich, denn im gegebenen sprachlichen Rahmen kann der Wahrheitswert einer Aussage über Gott prinzipiell so eindeutig beantwortet werden wie in der Mathematik.

Also, langer Rede kurzer Sinn, wir können sinnvoll über Gott sprechen. Die Frage allerdings, ob Gott tatsächlich existiert, liegt auch hier außerhalb der Sprache über Gott und ist damit sinnlos.
Allerdings bedeutet, daß ein Satz sinnlos ist, keinesfalls, daß er falsch ist, sondern daß er unentscheidbar ist. Und damit sind wir dann beim Agnostizismus angelangt.

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