Donnerstag, 23. Dezember 2010

Mal wieder eine Runde glauben

Die Behauptung, Atheismus sei auch eine Form von Glaube (oder zumindest was für diese Behauptung gehalten wird) würde ja durch Wiederholung auch nicht besser werden. So kann man es zumindest hören bzw. lesen. Aber ich bin nunmal nicht lernfähig, und so widme ich mich noch einmal aufs Neue diesem Thema, mal wieder von einer anderen Seite. Denn kaum eine Ablehnung, der nicht entgegen gehalten wird, wie es besser ginge. Und im Fall des Glaubens ist das typischerweise die Wissenschaft, zumindest die empirischen Wissenschaften, oder noch weiter eingeengt, die Naturwissenschaften. Also gehen wir mal der Frage nach, was denn eine empirische Wissenschaft zu einer solchen macht. Laaaangweilig! Denn natürlich herrscht herrliche Eintracht darin, daß es die Überprüfbarkeit einer Theorie an der Erfahrung, und insbesondere ihre Widerlegbarkeit durch Erfahrung ist, die eine Theorie zu der einer empirischen Wissenschaft macht. Gehen wir hier aber trotzdem noch ein bisschen weiter ins Detail.

Die Forderung nach Widerlegbarkeit, d.h. Falsifizierbarkeit, stellt genau betrachtet zwei Anforderungen an eine Aussage. Erst einmal muß eine Aussage eine logische Form haben, die eine Widerlegung erlaubt. Die schöne Beispielaussage Alle Junggesellen sind ledig ist nicht widerlegbar, und das aufgrund ihrer logischen Form. Ihre Richtigkeit wird durch die Bedeutung ihrer Bestandteile sichergestellt, und man mag eine solche Aussage analytisch nennen. (Das auch dieser Punkt so seine Schwierigkeiten mit sich bringt sei heute mal ignoriert.) Wenn die logische Form einer Aussage eine Widerlegung erlaubt, heißt das aber noch nicht, daß sie auch durch Erfahrung, d.h. Beobachtung der Welt, widerlegt werden kann. Die Aussage Gott will, daß jeder, der Sex mit einer Menstruierenden hat, umgebracht wird (Lev 20, 18) erlaubt zwar logisch eine Widerlegung, nicht aber eine Widerlegung durch Beobachtungen der Welt. Daher die Verschärfung, neben der logischen Widerlegbarkeit eine empirische Widerlegbarkeit zu fordern.
Somit hat man nun eine wunderbar geordnete Welt. Einmal hat an die analytischen Aussagen, die man für bestenfalls langweilig halten kann. Dann gibt es da die logisch, aber nicht empirisch widerlegbaren Aussagen, die sind schlecht. Und dann hat man die empirisch widerlegbaren Aussagen, die sind gut und wissenschaftlich. Nur, gehen wir bei den empirisch widerlegbaren Aussagen noch ein bisschen weiter ins Detail.

Wann ist denn eine Aussage empirisch widerlegbar? Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, wenn man es mal genau nimmt. Draußen regnet es kann man ja noch offensichtlich empirisch überprüfen. Und wie ist es dann mit Morgen wird es hier regnen? Bis morgen kann man ja noch warten, und dann prüfen. Und wie ist es mit In genau 100 Jahren wird es hier regenen? Oder mit In genau 2 Mio. Jahren wird es hier regnen? Betrachtet man all diese Sätze als im gleichen Maße widerlegbar? Vermutlich nicht, aber wo legt man dann die Grenze?
Aber werden wir etwas prinzipieller. Die Frage, wann man eine Aussage als empirisch widerlegbar anerkennt, führt offenbar auf die Frage, welche Methoden man zur Überprüfung einer Aussage zulässt. Und 2 Mio. Jahre warten oder Eingeweideschau wird man nicht zulassen, sondern nur Methoden, die "wissenschaftlich" sind. Damit ist die Frage nach dem, was eine (empirische) Wissenschaft ist, nichts anderes als die Frage nach den Methoden, die zugelassen werden. Und die können sich dramatisch ändern.

Zunächst mal können sie sich innerhalb einer wissenschaftlichen Disziplin mit der Zeit ändern. Ein Paradebeispiel ist sicherlich die Einführung des Teleskops in die Astronomie. Ein guter Teil des Widerstands, den Galilei zu spüren bekam, rührte daher, daß seine Zeitgenossen ein Fernrohr nicht als Instrument der Wissensgewinnung über den Himmel zulassen wollten. Diese Ablehnung hatte metaphysische Gründe. Die Sphären des Himmels waren grundsätzlich anderer Natur als die Erde, und nur weil ein Fernrohr bei der Beobachtung irdischer Objekte gut funktioniert, heißt das noch nicht, daß es auch zur Beobachtung himmlischer Objekte brauchbar ist. Und heute hat sich diese Einstellung komplett umgekehrt. Heute nimmt man an, daß die selben Naturgesetze, die auf der Erde herrschen, unverändert bis in die fernste Region des Universums anwendbar sind. Auch dies ist letztlich eine metaphysische Annahme. Sie ist zwar logisch falsifizierbar, nicht aber empirisch, und somit selbst nicht (natur-)wissenschaftlich.
Und auch von Fach zu Fach sind die Methoden unterschiedlich. Auch hier kann man ein neueres Beispiel aus der Astronomie heranziehen. Man sucht etwa nach Objekten im äußerem Sonnensystem, indem man nach Bedeckungen von Sternen durch solche Objekte sucht. Eine solche Messung wäre dann prinzipiell einmalig und nicht wiederholbar. Sicherlich wäre Wissensgewinn durch einmalige, nicht wiederholbare und nicht von anderen überprüfbare Messungen für die Physik ein Albtraum. Astronomen scheinen da in ihrer Not flexibler zu sein. Ein weiteres schönes Beispiel ist die Evolutionstheorie, bei der man die Anforderungen verglichen zur Physik deutlich herunterzuschrauben bereit ist (Die am besten angepassten Lebewesen überleben. Und am besten angepasst sind die Lebewesen, die überlebt haben. Solche Strukturen läßt man der Evolutionstheorie auch als Physiker - zu recht - durchgehen. Bei der Psychoanalytik tendieren Physiker wohl dazu, methodisch pingeliger zu sein.)

Also wieder zurück zur eigentlichen Frage, was (empirische) Wissenschaft denn von anderen Gedankengebäuden unterscheidet. Letztlich sind dies also die zugelassenen Methoden. Und die unterscheiden sich von Fachdisziplin zu Fachdisziplin und sind einem zeitlichen Wandel unterworfen. In die Zulassung von Methoden fließen zudem metaphysische Überlegungen wesentlich mit ein (worunter hier empirisch nicht widerlegbare Überlegungen verstanden sein).
Und die Behauptung, wissenschaftliche Erkenntnisse seien ihrem Wesen nach anderen, insbesondere religiösen, Interpretationen der Welt überlegen, reduziert sich somit letztendlich auf die Behauptung, bestimmte empirisch nicht widerlegbare Annahmen seinen anderen empirisch nicht widerlegbaren Annahmen vorzuziehen. Und das mag ja auch so sein. Bloß - einen prinzipiellen Unterschied kann ich hier leider nicht sehen.

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