Mittwoch, 19. September 2012

Öffentliches Fühlen

Das Leben ist hart. Ja wirklich. Wie viele seelische Wunden muß man im Laufe der Jahre verkraften, wie oft wird auf den eigenen Gefühlen herumgetrampelt. Damals, in der 8. Klasse zum Beispiel, da wurden meine Gefühle richtig schwer verletzt. Von Susi*. Wie Susi auf meinen verzweifelt-sehnsuchtsvollen Liebesbrief reagiert hatte, damals, in aller Öffentlichkeit, das verwundete meine Gefühle bis zum Rande der Traumatisierung. Aber trotzdem, spätestens gegen Ende der Pubertät erwartet man von einem Menschen, solche Erfahrungen wegstecken zu können, seien sie auch noch so schmerzhaft. Und niemals wäre ich auf die Idee gekommen, in meinen verletzten romantischen Gefühlen nach dem Staat und dem Strafgesetzbuch zu schreien, um die überaus verachtenswerte und übrigens in Wirklichkeit auch gar nicht so schöne Susi bestraft zu sehen. Oder sie gar dafür bestrafen zu wollen, daß ich in meiner Kränkung im Klassenzimmer zu randalieren beginne und so den öffentlichen Frieden gefährde.
Bei religiösen Gefühlen dagegen scheint das alles etwas anders zu liegen. Während ein jeder mit den Verletzungen seiner Zuneigung durch die Liebsten oder mit der Verletzung seines Selbstwertgefühls durch den Chef selber klarzukommen hat, genieren sich genug Gläubige nicht, zur Abwehr von Verletzungen ihrer religiösen Gefühle nach dem Staat zu schreien. Da drängt sich doch die Frage auf, was an religiösen Gefühlen denn so anders ist als an allen anderen persönlichen Gefühlen? Warum sollte gerade dieses eine Gefühl einen Schutz genießen, der für alle anderen menschlichen Gefühle geradezu absurd anmuten würde?
Vielleicht liegt der Unterschied darin, daß religiöse Gefühle mitunter zwar wie die Liebe sehr intim, aber doch nicht persönlich sind? Zwar mag der Gläubige seine Überzeugungen als sehr privat und intim empfinden, doch gleichzeitig binden sie ihn auch in eine soziale, gesellschaftliche Gruppe ein. Und diese Gruppe hat massive öffentliche Interessen.
Oft genug wird der Spagat der Religion zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit ausgenutzt, wie es die Situation gerade verlangt. Geht es um den Schutz der Religion, wird der private Charakter der Überzeugungen herausgestellt, das Intime, daß vor übermäßiger Kritik abgeschirmt werden muß und eigentlich niemanden etwas angeht. Gleichzeitig fordern Berufschristen und ihr politischer Arm offen eine politische Einmischung ihrer Religion, und sie bemühen sich bei Themen von Abtreibung bis Ehegattensplitting auch nach Kräften.
Warum diskutiert man also die Verletzung religiöser Gefühle ausschließlich unter dem Gesichtspunkt einer intimen Empfindung sensibler Seelen und läßt ihre gesellschaftliche, politische Funktion ganz außen vor?
Eine Verletzung religiöser Gefühle stellt in der öffentlichen Sphäre eine Infragestellung der Autorität einer gesellschaftlichen Gruppe dar. Und letztlich bedeutet sie einen kleinen, aber immer wiederholten Angriff auf die Grundlagen der Gruppenzusammengehörigkeit. Solche Angriffe sind für eine Gruppe bedrohlich, und somit ist der Ruf nach einem Verbot aus der Sicht religiöser Gemeinschaften überaus verständlich. Ein Verbot der Verletzung religiöser Gefühle gehörte im Strafgesetzbuch damit aber nicht in einen Abschnitt mit der Störung der Totenruhe, wo es jetzt zu finden ist, es gehörte in dieselbe Kategorie wie Majestätsbeleidigung oder die Verunglimpfung staatlicher Symbole - es gehörte dahin, wo der Gesetzgeber versucht, Institutionen vor einer Erosion ihrer Autorität zu schützen. Nun kann man bereits einen solchen Schutz für staatliche Symbole und Institutionen fragwürdig finden. Ganz sicher aber gehört es nicht zu den staatlichen Aufgaben, politisch aktive Gruppen innerhalb der Gesellschaft vor zersetzenden Angriffen abzuschirmen. Das Infragestellen der Autorität einer gesellschaftlichen Gruppe sollte nicht nur erlaubt, sondern in einer liberalen Gesellschaft geradezu erwünscht sein.
Soweit es also um ganz intime Gefühle im Herzen des Gläubigen geht, so kann man nur verlangen, Verletzungen wegzustecken, wie es Erwachsene eben tun, auch wenn es schmerzt. Hier verdient der einzelne Mensch vor der Verletzung religiöser Gefühle nicht mehr rechtlichen Schutz als vor Liebeskummer. Und was die öffentliche Ebene angeht, so kann man Gläubige nur auffordern, intelligentere Erwiderungen auf Verletzungen zu finden als den Ruf nach dem Strafgesetz. Und wenn sich keine intelligenteren Erwiderungen finden lassen, nun ja, dann könnte man ja über die hinter den verletzenden Provokationen stehenden Gedanken nachdenken, so ganz allein, im stillen Kämmerlein...

*Name von der Reaktion geändert.

4 Kommentare:

  1. Geschütztes Rechtsgut ist weder das religiöse Gefühl des einzelnen Gläubigen noch kirchliche Autorität, sondern der öffentliche Friede. Ob man dafür unbedingt noch einen Extra-Paragraphen braucht oder Sachen wie der Mohammed-Clip nicht eh unter Volksverhetzung fallen steht dann auf einem anderen Blatt.

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    1. Ja, das mag gegenwärtig das geschützte Rechtsgut sein. Diverse Vorstöße gehen aber eindeutig in die Richtung, das religiöse Gefühl selbst zu schützen. Man lese nur die ganzen Versuche, religiöse Gefühle als Teil der Menschenwürde aufzufassen (z.B. unter dem Link "ausschließlich" im Text) - auf das Verletzungen der religiösen Gefühle als Verletzung der Menschenwürde strafbar seien, auch wenn der öffentliche Friede nicht gefährdet ist.
      (Abgesehen davon finde ich "öffentlicher Friede" ein ziemlich zweifelhaftes Rechtsgut...)

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  2. Ich lese die Einträge hier immer sehr gern. Dieser Artikel ist ein Anlass sich für den Blog allgemein und diesen Artikel im Besonderen zu Bedanken.

    Danke.

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    1. Na, da bedanke ich mich!

      Schmeicheleien und wüste Beschimpfungen hab' ich am liebsten! ;)

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